Kassel – Unter meterdickem Trümmerschutt aus dem Zweiten Weltkrieg haben Archäologen in Kassel außergewöhnliche Spuren der Stadt- und Alltagsgeschichte freigelegt. Bei Bauarbeiten für ein neues Azubi-Appartementhaus im Stadtteil Wesertor stießen sie auf Überreste der ehemaligen Judengasse, die erstmals im 13. Jahrhundert erwähnt worden war.
Seit Ende März hatten die Fachleute auf einer rund 350 Quadratmeter großen Fläche gegraben – den bislang umfangreichsten archäologischen Untersuchungen in Kassel seit Jahren. Unter bis zu drei Meter hohen Schichten aus Kriegstrümmern entdeckten sie Reste von Hausmauern, Pflasterbelägen, Kücheninventar und sogar eine erhaltene Kutsche. In einer zerstörten Küche fanden sie einen Kochkessel neben einem Herd – und ein vollständig erhaltenes, angestochenes Hühnerei, das offenbar als Mahlzeit gedacht gewesen war, bevor am 22. Oktober 1943 Bomben große Teile der Kasseler Altstadt zerstörten.
„Diese Funde gaben uns einen unmittelbaren Einblick in das Leben der damaligen Bewohner – kurz vor dem Einschlag der Bomben“, erklärte Landesarchäologe Prof. Dr. Udo Recker. Die Überreste vermittelten ein eindrucksvolles Bild vom Alltag in der Kasseler Judengasse vor ihrer Zerstörung.
Besonders bemerkenswert war, dass unter den Kriegsresten noch ältere, mittelalterliche Gruben entdeckt worden waren. Aufgrund günstiger Erhaltungsbedingungen konnten die Archäologen dort sogar organisches Leder bergen – darunter ein gut erhaltener mittelalterlicher Lederschuh.
Obwohl die für das Jahr 1398 belegte Synagoge archäologisch bislang nicht nachgewiesen werden konnte, galt der Fundort als bedeutender Teil des jüdisch geprägten Kasseler Stadtkerns. Hinweise auf religiöses Leben fehlten bislang jedoch.
Am Donnerstagvormittag hatte sich auch Hessens Wissenschaftsminister Timon Gremmels ein Bild der Grabungen gemacht. Begleitet wurde er unter anderem vom Kasseler Oberbürgermeister Sven Schoeller. Gremmels sprach von einem „einzigartigen Fenster in die Geschichte Kassels“ und betonte, wie wichtig es sei, dieses Kulturerbe zu bewahren und wissenschaftlich zu sichern.
Die Grabungen sollten voraussichtlich bis Ende Mai andauern, bevor auf dem Gelände mit dem Bau der neuen Wohnanlage begonnen werden konnte.
Unser Material war auch am Donnerstag Thema in der Hessenschau
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